Dieser Text war mein Newsletter vom 11. Juni 2020. Ich schreibe in meinem Newsletter „KolumNewsletter“ oft über persönliches, Erlebnisse und über Dinge, die mich beschäftigen. Weil ich so viele Antworten auf diesen Newsletter bekommen habe, verblogge ich ihn an dieser Stelle.
Eigentlich wollte ich heute über Newsletter-Ängst schreiben. Ich habe nämlich seit über 4 Wochen keinen Newsletter mehr geschrieben, also seit dem Launch der Sympatexter Academy im Mai.
Aber dann dachte ich mir:
Nope.
Denn es gibt jetzt ein Thema, das mir viel (VIEL) wichtiger ist: Black Lives Matter.
Ich habe vor ein paar Tagen etwas dazu gebloggt und mich gefragt: Wie privilegiert bin ich eigentlich?
Ich muss zugeben: Ich war, als aus dem Tod von George Floyd eine Bewegung wurde, anfangs recht hilflos beim Thema Rassismus. Aber irgendwie habe ich gespürt: Das ist auch mein Thema, obwohl ich davon nicht direkt betroffen bin. Meine eigene Hilflosigkeit beim Thema Rassismus hat mir keine Ruhe gelassen, es hat in mir gearbeitet. Und am letzten Wochenende kam mir die Erleuchtung. Plötzlich konnte ich benennen, was in mir rumort hat. Ich versuche das jetzt zum ersten Mal in Worte zu fassen und, puh, es fällt mir nicht leicht.
Kann es sein, dass ich meine eigene Hilflosigkeit von irgendwoher kenne? Ist das vielleicht die gleiche Hilflosigkeit, die viele Männer beim Thema Sexismus spüren? So nach dem Motto: was hat das mit mir zu tun, ich diskriminiere doch überhaupt keine ______________ (Personengruppe einfügen)?! Ist es die Hilflosigkeit der Ertappten? Die Hilflosigkeit der Menschen, die sich selbst als progressiv und reflektiert erachten aber plötzlich ihre eigenen blinden Flecken erkennen?
Ich habe schon viele Gespräche mit Männern zum Thema Feminismus und Sexismus geführt und die Reaktionen waren vielfältig. Oft haben Männer schlicht geleugnet, dass es das Problem namens Sexismus überhaupt gibt. Schließlich steht doch schon im Grundgesetz, dass wir gleichberechtigt sind – was wollen wir denn noch mehr? Hmm… vielleicht wollen wir ja die tatsächliche Beseitigung bestehender Nachteile?
In Kreativagenturen erlebt frau die wildesten Sachen und dass dort Frauen über 40 Mangelware sind oder seltsamerweise so gut wie nie eine Agentur leiten (außer vielleicht den Bereich Personal), ist bestimmt Rainer… Verzeihung: reiner Zufall.
Als ich einmal schwanger zu einem Brainstorming gegangen bin, wurde ich gefragt, wann ich endlich werfe und als ich mit meinem Chef zu einem Mittagessen mit einem Kunden gegangen bin, hat der Kunde meinen Chef gefragt, ob wir eine Affäre hätten. Also, in meiner Anwesenheit. Ich war sprachlos und mein Chef hat das nur weggelacht. Hahaha.
Und so weiter und so fort. Vor fast 2 Jahren habe ich hierzu schon ein paar Erlebnisse gebloggt.
Auf solche Handlungen angesprochen, kommen dann Sprüche wie: War doch nicht so gemeint, das war doch nur ein Spaß, hast du denn gar keinen Humor? Du nimmst dir das viel zu sehr zu Herzen, Männer reden halt so.
Und so weiter und so fort.
Ich gehöre zu den privilegierten Frauen und dennoch erlebe ich immer mal wieder kleine und manchmal größere Verletzungen, Mikro-Aggressionen und manchmal auch schlicht unfassbare Dinge aufgrund meines Geschlechts.
Ich kenne das Thema Sexismus also aus der Sicht der Schwächeren, der Diskriminierten.
Und vielleicht kann ich diese Sichtweise auf meinen eigenen Umgang mit Rassismus anwenden, denn da bin ich durch meine Hautfarbe in der Position der Stärkeren. Daher stelle ich mir selbst die Frage: Welche Reaktion würde ich mir von Männern erhoffen, wenn ich mit ihnen über Sexismus rede?
Bestimmt nicht, dass sie das Problem reflexhaft leugnen.
Ich wünsche mir, dass sie mir zuhören und dass sie meine Erfahrungen nicht abtun, lächerlich machen oder mir sogar Neid unterstellen. Ich wünsche mir, dass sie sensibel für dieses Thema werden. Dass sie erkennen, dass sie sehr wohl Teil des großen Ganzen sind und oft – wenn auch nur unbewusst oder durch Untätigkeit – ihren Anteil zum Problem beisteuern. Dass sie erkennen, dass es für uns alle eine bessere Welt wäre, wenn wir diese Diskriminierung beseitigen. Ich erwarte nicht, dass nach solch einem Gespräch jeder Mann zu einem glühenden Feministen wird. Und wenn doch: yeah! Aber dass sie die Existenz des Problems anerkennen, ihre eigene Rolle dabei reflektieren und ihr Verhalten Frauen gegenüber überdenken, dass sie erkennen, wie männlich die Welt oft ist, ob in der Politik, in Führungsetagen oder auf Nachrichtenseiten und dass sie sich nicht raushalten mit einem „das ist nicht mein Problem“ – das erwarte ich schon.
Welche Reaktion wünscht sich eine Person of Color von einer weißen Person beim Thema Rassismus?
Ich maße mir nicht an, die Antwort zu wissen. Vielleicht die gleiche Reaktion, die ich mir beim Thema Sexismus von Männern wünsche.
LG Judith
PS: Puh, danke fürs Lesen.