Durch einen Zufall habe ich meine Tochter zum größten Nena-Fan gemacht.
Und das kam so:
Meine Kinder lieben Dinosaurier, das Universum, Sterne, den Urknall und den Weltuntergang. Also schauen wir viele Dokumentationen auf YouTube. Ich kann meiner Tochter mittlerweile zwar einigermaßen erklären, wie die Sonne entstanden ist (danke, YouTube-University), aber ich weiß immer noch nicht, warum mir eines Tages als nächstes Video „99 Luftballons“ von Nena vorgeschlagen wurde. Vielleicht, weil wir kurz davor „The world without us“ geschaut haben (wie gesagt, sie lieben den Weltuntergang). Und 99 Luftballons ist ja ein Lied über den Krieg und den Weltuntergang. Na, auf jeden Fall, das Mädchen so: „Mama, klick diese Frau mal an. Ich mag ihre Haare.“ Nachdem das Lied vorbei ist: „nochmal, Mama!“ Uuund nochmal. Nach fünf Durchläufen brauche ich dann etwas Abwechslung . Also klicke ich „Irgendwo, irgendwann, irgendwie“ an. Oder heißt das Lied anders? Egal. Bei der Zeile „Liebe wird aus Mut gemacht“ bekomme ich eine Gänsehaut. Ich schaue meine Tochter an, wie sie gebannt auf den Handybildschirm starrt. Und ich kann förmlich dabei zusehen, wie etwas Magisches passiert: Die große Musikliebe ist in meiner sechsjährigen Tochter erwacht. Von einem YouTube-Video aufs andere.
Nächster Tag. Wir fahren zum Kindergarten. „Mama, kannst du 99 Luftballons anmachen?“ Ich zücke das Handy, Bluetooth, 99 Luftballons schallen uns aus den Autolautsprechern entgegen. Die Fahrt reicht für zwei Wiederholungen. Kurz vor der Ankunft singt mein Mädchen den Refrain schon halb mit. Drei Tage später kann sie das Lied auswendig und macht im Kindergarten eine spontane Aufführung.
Kurz darauf haben wir Karten für das Nena-Konzert in Stuttgart.
Am 14. Mai, einen Monat vor dem Konzert, fragt sie, wie oft sie noch schlafen muss. „31 Tage“ – für sie unvorstellbar lang. Die Sommertage plätschern so dahin, wie hören jeden Tag Nena rauf und runter und eines Tages lautet die Antwort nach dem Konzert: „morgen“. Sie zerspringt fast vor Vorfreude, ich muss schon wieder den ganzen Tag Nena hören. Als ich weiß, dass es „Irgendwie, irgendwo, irgendwann.“ heißt, erahne ich, dass auch ich die nächste Nena-Stufe erklommen habe.
Unterwegs zum Konzert singt sie in der U-Bahn „99 Luftballons“. Jedem dürfte klar sein, wohin wir gehen.
Grünes Armband sei dank, stehen wir beim Konzert in der ersten Reihe. Meine Tochter ist so groß wie die Absperrung, ich hebe sie hoch, damit sie etwas sieht. Ihr Ohrstöpsel ist rausgefallen. Schnell drücke ich ihr meinen ins Ohr und suche ihren. Ich finde ihn unter meinem Schuh, plattgetreten. Egal, ab in mein Ohr damit. Diese Ohrstöpsel-Reise nach Jerusalem wiederholt sich noch einige Male. Ich beobachte sie, wie sie Nena anhimmelt, so glücklich, begeistert und überwältigt.
Als das Konzert zu Ende ist, ist sie ganz still und fängt sie an zu weinen. „Mama, das war so schön, ich werde Nena vermissen“. Ich erkenne mich plötzlich so stark in ihr wieder, dass ich erschaudere. Ich umarme sie minutenlang. Die Konzertbesucher fragen, ob etwas passiert sei und ob sie uns helfen könnten. „Sie weint, weil es so schön war.“ Die Leuten nicken verständnisvoll, eine andere Mutter in Begleitung eines kleinen Mädchens streichelt ihr über den Kopf. „Ja, das kann ich gut verstehen.“
Wir verlassen das Konzertgelände. Es ist dunkel.
„Mama, das war ganz anders als ich es mir vorgestellt habe. Ich dachte, da würden überall Stühle stehen und dass wir sitzen werden. Aber so war es viel besser. Machen wir das bald wieder?“
„Ja. Machen wir.“
„Irgendwie, irgendwo, irgendwann?“
Wir lachen. Ich kriege eine Gänsehaut. Mein kleines Mädchen hat die große weite Welt der Musik für sich entdeckt.