Social Media ist nicht mehr das, was es mal war: Viele Leute sind genervt von Social Media. Aber noch nicht genug genervt, um abzuwandern oder um die eigenen Profile zu löschen. Ich gehöre auch dazu. Auch ich bin massiv von Facebook genervt. Immerhin habe ich schon die App auf dem Handy gelöscht und nutze Facebook am Desktop mit einem News Feed Eradicator (das ist ein kostenloses Browser-Plugin). Das bedeutet: Sobald ich Facebook öffne, sehe ich… nichts!
Facebook nervt, Instagram nervt, LinkedIn nervt, TikTok nervt und Twitter nervt erst recht. Warum nutzen wir diese Plattformen überhaupt noch? Gute Frage. Ich bin (noch) auf Facebook, weil es eine der größten Werbeplattformen der Welt ist, auf der zufällig meine Zielgruppe stark vertreten ist. Andere nutzen Social Media aus Gewohnheit: Der Griff zum Handy ist ein Reflex geworden. Genau so wie das Bedürfnis, einen schönen Moment unbedingt zu fotografieren und auf Instagram zu posten. Pic or it didn’t happen! Diese Plattformen nutzen gnadenlos aus, dass wir Menschen soziale Rudeltiere sind. Im Gegenzug bekommen wir eine polarisierte Gesellschaft, Scrollsucht, ein krankes Selbstbild, Vergleicheritis, Empörung und schlechte Laune. Du siehst: Ich bin genervt von Social Media. Warum genau, erkläre ich hier:
1. Die Doppelmoral und Scheinheiligkeit
Fake-News und Hass-Postings werden unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit nicht geahndet, aber wehe, ein weiblicher Nippel ist zu erkennen! Dann ist dir eine Sperre sehr sicher. Was gerade auf Instagram ein besonderes Spannungsfeld erschafft, also auf der Plattform, deren wichtigste Nutzerbasis Millionen von Frauen sind, die unermüdlich posten. Nur eben bitte keine Nippel! Im Gegensatz dazu muss ich keine Minute lang scrollen, bis ich Männer mit nacktem Oberkörper sehe.
2. Fake-News und Clickbaiting
Schlechte Nachrichten verbreiten sich organisch schneller, als normale Nachrichten oder Gegendarstellungen (= wenn eine Nachricht korrigiert wird). Die Algorithmen begünstigen krasse und empörende Inhalte, die viel Interaktion erzeugen und so dreht sich unermüdlich die Empörungs-Spirale. Gleichzeitig drosseln Facebook & Co. die Reichweite von normalen News-Accounts und machen Reichweite kostenpflichtig, sodass Nachrichtenportale, die nach journalistischen Prinzipien arbeiten, gar nicht gegen die Fake-News-Schwemme ankommen. Die hohen Klickzahlen von Fake- und Empörungs-News wecken natürlich Begehrlichkeiten: So schwanken viele Nachrichtenportale manchmal auf die böse Seite der Macht und biedern sich mit krassen Headlines (= Clickbaiting) und grenzwertigen Inhalten an die Empörungs-Zielgruppe an. Dass sich das negativ auf den Journalismus und auf die Glaubwürdigkeit der Medien auswirkt, ist klar.
3. Reichweiten-Verfall und sich ständig ändernde Algorithmen
Organische Postings bekommen immer weniger Reichweite. Besonders krass ist der Rückgang aktuell bei Instagram zu beobachten (und dort spezifisch bei Reels). Viele in meinem Umfeld empören sich über krass sinkende Social-Media-Reichweiten. Und sie fragen sich, ob es überhaupt Sinn macht, diese Plattform weiterzunutzen.
Hinzu kommen Format-Trends: Mache Videos! Mache Lives! Schreibe kurze Texte, ach nein, lieber lange Texte! Mache Karussell-Postings! Mache Reels! Ständig kommen neue Formate hinzu, die dann intensiv in der Reichweite gepusht werden, bis sie wieder wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen werden.
Und dann die ständigen Algorithmus-Änderungen: Etwas, das gestern noch sehr gut funktioniert hat, bekommt heute keine Sichtbarkeit mehr. Weil… ja, warum eigentlich? Eine Erklärung für die spontanen Algorithmus-Änderungen bekommen wir fast nie. Es heißt dann nur noch: Reagieren und sich anpassen: Ja gut, dann mache ich jetzt eben Reels. (Bis auch diese nicht mehr funktionieren, wie wir jetzt auf Instagram sehen)
Social Media ist eine sehr hektische Welt, in der sich alles sehr schnell verändert. Wer da nicht ständig up-to-date bleibt, wird schnell rausgekegelt.
4. Negative Kommentare und Hass
Social Media ist wie ein Brutkasten für Hass, Rassismus, Sexismus und andere, uncoole Dinge. Denn: Negative Inhalte verbreiten sich schneller als positive. Das Problematische an Social Media ist: Jede Interaktion mit negativen Inhalten bringt ihnen noch mehr Sichtbarkeit. Jede Klarstellung, jede Gegenrede, jede geschriebene Ablehnung ist eine Interaktion und das wird vom Algorithmus interpretiert als „das muss wohl interessant sein!“ Und so landen solche Postings in noch mehr Feeds. Deshalb: Sobald ein Posting deine Empörung triggert, solltest du dich fragen, wem dein Kommentar bzw. deine Gegenrede nützt – und im Zweifel einfach nicht reagieren.
Vielen Leuten geht es beim Kommentieren gar nicht um einen echten Austausch. Sie wollen einfach nur verletzen und empören. Das führt dazu, dass sich v. a. Frauen aus Social Media zurückziehen, denn sie werden besonders oft Opfer von Hasskommentaren.
Die größte Hass-Fontäne der „normalen“ Social-Media-Netzwerke sprudelt bei Twitter (von 4chan, Reddit und anderen Netzwerken müssen wir gar nicht anfangen). Ich bin schon seit Jahren nicht mehr bei Twitter aktiv, obwohl das meine erste große digitale Liebe war (neben meinem Blog). Diese Liebe ist in den Zehnerjahren deutlich erkaltet, in der Blütezeit der Shitstorms. Und als Elon Musk Twitter übernommen hat, war endgültig Schluss. Heute weiß ich nicht mal mehr meine Login-Daten.
5. Crossposting-Flut
Instagram-Postings werden oft auch auf Facebook geteilt, denn das ist doch so praktisch! Reels werden sowohl auf TikTok als auch Instagram gepostet, und ach, wenn wir schon dabei sind, dann auch noch als Short bei YouTube und auf Facebook. Wenn ein Posting auf Facebook gut performt, kann man das ja auch gleich noch auf LinkedIn teilen. Oft sehe ich auch Newsletter-Texte, die auf Social Media eine Zweitnutzung erfahren (was ja grundsätzlich in Ordnung ist, wenn man es hin und wieder macht. Aber ständig?). Alles wird kreuz und quer recycelt (= Crossposting) und so haben wir beim Durchscrollen das Gefühl: Das kenne ich doch schon. Dadurch verlieren die Plattformen ihr Profil und ihren Nachrichtenwert. Denn warum soll ich noch durch Instagram scrollen, wenn ich das meiste davon schon auf Facebook gesehen habe? Wenn Content-Recycling bzw. Content-Repurposing nur dazu führt, dass ich von dir überall den gleichen Inhalt sehe, ist das keine Gewinnerstrategie.
6. Fakeprofile und Phishing-Mails
Du öffnest Instagram und freust dich: Yeah, 5 Follower mehr als gestern! Aber wenn du dir diese neuen Follower anschaust, ist das ein John5432 oder ein Chirurg, Witwer oder Soldat aus den USA. Das sind offensichtlich Fake-Profile. Und die Social-Media-Plattformen tun zu wenig dagegen. Am problematischsten sind Fake-Profile derzeit auf Instagram und Twitter. Dort sind Bot-Horden unterwegs und für jedes gemeldete oder gesperrte Fake-Profil kommen 100 neue dazu. Diese Fake-Profile untergraben das „Social“ in „Social Media“, weil diese Profile immer in irgendeiner Art eine Betrugsmasche sind (Phishing, Identitätsklau, Liebes-Scam usw.). Warum ich Fake-Follower nicht mehr lösche und welche Möglichkeiten es gibt, Fake-Follower zu minimieren, ohne dir jeden Tag die Finger wundzuklicken, habe ich hier verbloggt: Soll ich Fake-Follower auf Instagram löschen?
Neben Fake-Followern nerven mich auch die ständigen E-Mails von Fake-Profilen – und dass Facebook nichts dagegen tut! Diese Mails sind teilweise sehr gut gemacht, täuschend echt und natürlich immer höchst alarmistisch, so nach dem Motto: Du musst jetzt unbedingt tätig werden und auf diesen Link klicken, sonst wird dein Profil gesperrt! Aber: Sobald du klickst, bist du verloren! Dann landest du in irgendeiner Betrugsmaschinerie. Es ist ein Skandal, dass Facebook gegen diese Profile nicht vorgeht!
7. Die Ver-business-ierung von Social Media
In einem Blogartikel vom 23. Januar 2023 habe ich geschrieben: „Viele Menschen ignorieren das „Social“ in Social Media und nutzen Facebook als Akquise-Maschine. Ursprünglich ging es dort aber darum, mit Freunden und Familie in Kontakt zu bleiben. Es ging um Gespräche und Beziehungen, um das Teilen von spannenden Blogartikeln und darum, neue Menschen kennenzulernen. Die Ver-business-ierung von Social Media kann für einige funktionieren. Vor allem für die ersten, die eine neue Strategie ausprobieren, ist sie erfolgversprechend. Aber wenn dann Zehntausende nachziehen und Facebook und Instagram fast nur noch als Marketingkanal benutzen, scrollen wir uns durch zig Postings, die sich wie Werbeanzeigen lesen.“
Ich muss ehrlich sagen: Mich nervt es so sehr, dass in sozialen Netzwerken (fast) jeder jeden belauncht. Dass es bei Social Media auch in den normalen Postings nur noch um Lead Generierung und Listenaufbau geht. Dass jedes Posting angeblich verkaufen soll/darf/muss. Um die Ahbahnung von Erstgesprächen. Oder dass mir ständig Fragebogen hinterhergeworfen werden (gerne auch mal mit 40 Fragen, für die ich mindestens 2 Stunden zum Aufüllen bräuchte. Ja, das habe ich wirklich erlebt!). Euer Business ist mir egal! Ich will euch auf Social Media als Mensch kennenlernen! Wenn ich etwas von euch buchen will, gehe ich auf eure Webseite. Ach, du hast keine Webseite, weil dir Instagram angeblich ausreicht? Schade!
8. Sinkender Nutzen als Werbeplattform
Die Leadpreise sind auf Social Media über die letzten Jahre stark angestiegen: Um z. B. ein Freebie zu bewerben, hat man früher vielleicht (je nach Branche) einen Euro pro Anmeldung gezahlt. Jetzt sind ca. 5 Euro normal. Facebook kann die Preise immer weiter erhöhen, denn Meta hat eine der größten Werbeplattformen der Welt! Wenn uns die Praktiken von Meta nicht gefallen, können wir mit unserer Werbung nicht so einfach die Plattform wechseln. Denn: YouTube und Pinterest funktionieren ganz anders, dafür brauchen wir andere Inhalte und Formate.
Facebook hat dann wohl erkannt, dass das Ausquetschen des Umsatz-Schwamms nur zu einem gewissen Grad sinnvoll ist. Und so sind die Lead-Preise zu Anfang Januar 2023 wieder gesunken. In meinem Umfeld habe ich gehört, dass die Preise sich teilweise halbiert haben. Bis sie dann wieder angezogen sind.
Und sowieso: Wenn jedes 4. Posting eine Werbeanzeige ist, läuft doch was falsch. Ich glaube, dass dieses ständige Drüberscrollen über die Werbung zu einer extremen Abstumpfung führt. Viele Menschen checken gar nicht, dass Facebook und Instagram voll mit Werbung sind. Und so muss Werbung immer krasser werden oder organischer erscheinen (also: wie ein echtes Posting wirken), um überhaupt noch wahrgenommen zu werden. Und so setzt sich auch hier eine Spirale in Gang. Wohin das führt, können wir uns denken.
9. Die „Enshittification“ von Social Media
Kannst du dich noch an die Zeiten erinnern, als es mit rein organischen Pins möglich war, auf Pinterest sagenhafte Reichweite zu erzielen? Nun, diese Zeiten waren spätestens 2018 vorbei. Dann, jedes Jahr aufs Neue, hat Pinterest die Reichweite weiter eingeschränkt. Der letzte große Reichweiten-Einbruch für organische Pins kam Anfang 2022. Denn: Pinterest will, nachdem uns die Plattform mit ihrer kostenlosen Reichweite erst mal massiv verwöhnt hat, dass wir jetzt für Reichweite bezahlen.
Das ist der klassische Verlauf der Entshittification: Zuerst kommt das „Love-Bombing“: Neue User werden mit sagenhafter Reichweite belohnt. Sie gewöhnen sich an diese Reichweite und richten ihr Geschäftsmodell darauf aus. Dann wird diese kostenlose Reichweite Stück für Stück entzogen. Aber hey, man kann ja für Reichweite bezahlen! Zuerst nur wenig, dann immer mehr. Dann setzen sich nur noch Inhalte durch, für die hohe Summen gezahlt werden oder die extrem kontrovers sind. Bis die Plattform komplett kaputt und nutzlos ist. Facebook ist auf dem besten Weg dahin: Meiner Wahrnehmung nach ist es im letzten Viertel seines eigenen Lebenszyklus.
This is enshittification: Surpluses are first directed to users; then, once they’re locked in, surpluses go to suppliers; then once they’re locked in, the surplus is handed to shareholders and the platform becomes a useless pile of shit. From mobile app stores to Steam, from Facebook to Twitter, this is the enshittification lifecycle. (…)
First, Facebook was good to you: It showed you the things the people you loved and cared about had to say. This created a kind of mutual hostage-taking: Once a critical mass of people you cared about were on Facebook, it became effectively impossible to leave, because you’d have to convince all of them to leave too, and agree on where to go.
Then, it started to cram your feed full of posts from accounts you didn’t follow. At first, it was media companies, whom Facebook preferentially crammed down its users‘ throats so that they would click on articles and send traffic to newspapers, magazines, and blogs. Then, once those publications were dependent on Facebook for their traffic, it dialed down their traffic. First, it choked off traffic to publications that used Facebook to run excerpts with links to their own sites, as a way of driving publications into supplying full-text feeds inside Facebook’s walled garden.
This made publications truly dependent on Facebook—their readers no longer visited the publications‘ websites, they just tuned into them on Facebook. The publications were hostage to those readers, who were hostage to each other.
The Enshittification of TikTok von Cory Doctorow. Ein sehr lesenswerter Artikel!
10. Die Ständig-Posten-Müssen-Falle
Jede Plattform, die auf Algorithmen basiert, belohnt Aktualität und Interaktion. Das bedeutet: wir müssen ständig bzw. sehr häufig posten, um sichtbar zu bleiben. Wenn wir mal eine Woche oder gar einen Monat aussetzen, sinkt unsere Sichtbarkeit dramatisch. Ich vergleiche Social Media mit einem Haargummi, das wir immer ziehen müssen, damit da was passiert. Sonst liegt es schlaff in der Gegend herum.
Blogs hingegen funktionieren ganz anders: Es gibt keinen Ständig-Veröffentlichen-Zwang. Es reicht, wenn wir wenig, dafür hochwertig bloggen. Beim Bloggen wird es honoriert, wenn ein Blogartikel alt ist. Einer meiner wertvollsten Blogartikel ist von 2018: er wird immer noch hundertfach geklickt und verlinkt. Welches Social-Media-Posting kann das von sich behaupten?
11. Willkürrliche Löschungen und Sperren
Auf Facebook musst du nicht mal was falsch gemacht haben, um gesperrt zu werden. Es reicht, wenn der Algorithmus ein Wort oder ein Bild fehlinterpretiert und ZACK, ist das Posting gelöscht (und wenn du Pech hast, bist du auch gleich mitgelöscht).
Eine Freundin von mir hat ein Bild von sich gepostet, auf dem sie ein Maßband um den Hals hat und mit dem Zeigefinger auf ihren Ausschnitt zeigt (es ging um einen Nähkurs). Dabei war der Ausschnitt ganz harmlos, man hat nicht mal den Ansatz einer Brust gesehen. Zack, gelöscht! Warum? Das werden wir nie erfahren.
Ich selbst habe 2023 eine Nachricht von Facebook bekommen, dass ein Posting von mir aus dem Jahr 2018 gelöscht wird, denn es würde wohl Spam sein (war es nicht, aber: Egal). Jetzt mal ganz ehrlich: Facebook räumt beim Thema Spam anscheinend sehr gewissenhaft auf, sogar 5 Jahre in die Vergangenheit. Aber aktuelle Hasspostings werden mit Verweis auf die Meinungsfreiheit nicht gelöscht?
12. Der Null-Support bei Hacks und Sperren
Ich wurde am 13. November 2022 sehr übel bei Facebook gehackt. Als Folge wurden 9 meiner Teammitglieder mitgesperrt – natürlich auf Lebenszeit. Widerspruch zwecklos. Ich habe die ganze Geschichte hier verbloggt. Während der ganzen Sache hat Facebook mich quasi geghostet. Egal, was wir gemacht haben: Wir haben nur automatische Nachrichten mit veralteten Textbausteinen bekommen. Wir konnten nur durch einen Anwalt Bewegung in die Sache bringen. Wenn du bei Facebook oder Instagram gehackt oder unrechtmäßig gesperrt wirst, kannst du dich darauf verlassen, dass Meta dich im Regen stehen lässt. Du hast keinen Ansprechpartner, selbst wenn du im fünfstelligen Eurobereich Werbeanzeigen schaltest. Du bist einfach verloren. Ich finde: Das ist ein Skandal. Facebook, ich habe mein Vertrauen in Social Media verloren, wegen deiner Untätigkeit.
13. Endless Scrolling und Doomscrolling
Eigentlich wolltest du nur kurz etwas auf Facebook checken und plötzlich sind 30 Minuten vorbei: Du hast einfach weitergescrollt, ohne nachzudenken, immer weiter. Bis du irgendwann, wie aus einer Trance erwacht, schockiert feststellst, dass du deine Zeit verschwendet hast. Das ist Endless Scrolling. Endless Scrolling ist allerdings kein Zufall und keine individuelle Schwäche, sondern die wichtigste Strategie, wie User dazu gebracht werden, noch mehr Zeit auf der Plattform zu verbringen: Ausgeklügelte Anreizsystem machen uns süchtig nach Instagram, Facebook & Co. Kleine Dopamin-Kicks bringen uns dazu, noch weiter zu scrollen, noch mehr zu posten, noch öfter zu kommentieren – denn daraus könnten ja weitere Likes (also: Dopamin-Kicks) folgen. Wie krass die ganze Social-Media-Situation ist und warum sie in einen Überwachungs-Kapitalismus führt, kann man u. a. im Dokumentarfilm „The Social Dilemma“ auf Netflix anschauen. Hier findest du eine sehr lesenswerte Zusammenfassung.
Die Steigerung des Endless Scrollings ist Doomscrolling: Das exzessive Konsumieren negativer Nachrichten im Internet. Dabei hattest du vielleicht gar nicht vor, diese Art von Nachrichten zu lesen. Aber irgendwie wurden sie dir in deinen Feed gespült. Und wenn du einmal auf so ein Posting klickst, wird das vom Algorithmus so interpretiert, dass du das wohl interessant findest. Also werden dir mehr solcher Postings angezeigt. Da die Plattformen natürlich wollen, dass du möglichst viel Zeit dort verbringst (damit sie dir noch mehr Werbeanzeigen einblenden können), werden dir immer krassere Inhalte angezeigt, bis hin zu Verschwörungstheorien. Das ist vor allem auf YouTube gut belegt. Bis du dir deine ganze persönliche Blase aus Weltuntergangs-Nachrichten und Fake-News gezimmert hast, aus der du, Algorithmus sei Dank, kaum noch rauskommst.
Blogs: Der entspannte und zeitlose Gegenentwurf zu Social Media
Wenn dich Social Media nervt: blogge! Blogs haben gegenüber Social Media viele Vorteile. In meinem Blogartikel Instagram oder Blog: Was sind die Vorteile und Nachteile? habe ich diese Vor- und Nachteile aufgelistet und gegenübergestellt. Der größte Vorteil, den ich im Bloggen sehe: Es ist entspannt! Ich muss keinem Algorithmus gefallen und ich muss nicht ständig etwas veröffentlichen, um nicht unterzugehen. Ich bin keiner Plattform ausgeliefert, die mich nach Belieben sperren kann. Stattdessen habe ich mit meinem Blog meine eigene Plattform, auf der ich nicht einfach so gesperrt werden kann. Ich kann in Ruhe und in meinem eigenen Tempo meinen Blog aufbauen, ohne mich von Likes und Trends stressen zu lassen. Dabei ist jeder Blogartikel wie ein Ziegelstein: Wenn ich viele aufeinander setze und sie mit starkem Mörtel verbinde (das sind die Links, mit denen wir unsere Blogartikel untereinander vernetzen), baue ich mir damit etwas von Bestand auf: meine Reputation und mein Content-Imperium, das mir laufend Einkünfte generiert.
Blogs sind DAS Gegengewicht zu Social Media. Und: Blogs sind das echte Internet: Frei zugänglich (und kein „Walled Garden“, wie z. B. Facebook, das dich mit allen Mitteln drin behalten möchte), mit Suchmaschinen durchsuchbar, frei von Algorithmen und viel entspannter. Du wirst beim Lesen von Blogs nicht auf Schritt und Tritt getrackt (außer, dein Browser ist uncool. Dann kannst du einfach deinen Browser wechseln oder z. B. Ad- und Cookie-Blocker installieren).
Blogs waren schon vor 20 Jahren eine Gewinnerstrategie, also lange, bevor es Social Media überhaupt gab. Heute sind sie es immer noch: Das, was 2004 für Blogs funktioniert hat, gilt heute immer noch! Und ich bin mir sehr sicher: Blogs sind auch in 20 Jahren noch erfolgreich – wenn Instagram sehr wahrscheinlich nur noch eine langsam verblassende Erinnerung an frühere Zeiten sein wird (so wie heute Flickr). Blogs werden Social Media und alle digitalen Trends überleben. Und mein Blog wird auch mich überleben: Ich habe in meinem Testament verfügt, dass die Hostinggebühren für meinen Blog mindestens 100 Jahre nach meinem Tod weitergezahlt werden sollen. Es wird mein digitales Vermächtnis sein in einer Zeit, in der die Leute lange nicht mehr wissen werden, was Facebook eigentlich war: Ein nerviger, enshittifizierter Chaoshaufen, dem Moral nichts und Profit alles bedeutet.
Wenn mich Social Media so nervt, warum bin ich dann überhaupt noch auf Facebook, Instagram & Co. aktiv? Das erkläre ich hier.
Japs – ich bin sowas von bei dir! Danke für diesen Beitrag.
Diese Social Media-Müdigkeit, die wir Content-Ersteller ja schon seit einer ganzen Weile verspüren, wird früher oder später vermutlich auch die normalen Nutzer treffen. Denn auch ohne den Druck, für das eigene Business posten zu müssen, erzeugen diese Plattformen einfach unheimlich viel Stress. Davon wenden sich (hoffentlich) auch mehr und mehr Menschen abwenden.
Den News Feed Eradicator nutze ich schon lange, wobei ich Fb tatsächlich eh nur noch aufrufe, um etwas auf meiner Seite zu posten oder halt Nachrichten zu beantworten. Nachdem die (organische) Reichweite da aber mittlerweile einfach nur noch lächerlich ist und ich Meta kein Geld hinterherwerfen möchte, habe ich das Posten da mittlerweile fast komplett eingestellt und überlege, ob ich den endgültigen Schritt gehe und meinen Account sowie die Seite komplett lösche.
(Übrigens, lesson learned: löscht bei so etwas immer erst die Seite, dann den Account! Vor vielen Jahren hatte ich schon einmal die Nase voll von Fb und habe meinen Account kurzentschlossen gelöscht. Naiverweise ging ich damals davon aus, dass dadurch automatisch auch meine damalige Seite entfernt würde, deren einziger Admin ich war. Nope. Mein Account war weg, die Seite bestand, und auch nach einem halben Jahr Debattieren mit dem Fb-Support und dem Anbieten aller möglicher Verifizierungswege war es nicht möglich, die Seite ebenfalls zu entfernen. Die besteht seitdem weiterhin und ich hoffe einfach nur, dass sie niemals gehackt wird oder die Inhalte dort aufgrund irgendwelcher geänderten Rechtssprechungen irgendwann mal problematisch werden könnten (sollten sie eigentlich nicht, es sind halt Links zu meinen Artikeln, aber – who knows). Fühlt sich einfach mies an, dass da in meinem Namen Inhalte stehen, für die ich verantwortlich bin und auf die ich aber keinen Zugriff mehr habe.
Liebe Grüße
Anne
Oh, das klingt ja spannend, mit deiner verwaisten FB-Seite. Und ja, das ist sowas von FB-Style: Total sinnlos, Prozesse nicht zu Ende gedacht, Diskussion zwecklos.
Was den Stress angeht: Ja, Social Media macht Stress. Aber: Es ist offensichtlich nicht schlimm genug, als dass die Leute sich deshalb von der Plattform abwenden würden. Ich beobachte das ja in meinem Umfeld: So viele beklagen sich über die Praktiken von Meta und darüber, dass die Reichweite bei Instagram in den Keller gesunken ist. Und was machen sie? Sie posten einfach noch mehr, noch öfter – angeblich um den Algorithmus irgendwie zu überlisten und doch noch einen Krümel Sichtbarkeit zu bekommen. Es ist absurd. Und selbst ich: Ich wurde gehackt und was macht Facebook? Ghostet mich erst mal und reagiert erst, nachdem wir einen Anwalt losgeschickt haben. Aber: Ich bin immer noch bei Facebook. Keine Ahnung, ob das eine gewisse Form von Stockholm-Syndrom oder einfach nur unglaubliche Abstumpfung und Egal-Mentalität ist, aber offensichtlich ist das alles noch nicht schlimm genug, dass sich die Leute in Scharen von Meta abwenden.
Großartiger Post, liebe Judith!
Man kann zwischen den Zeilen Deinen berechtigten Frust und Ärger lesen. Ich kann es Dir so gut nachempfinden. Der Artikel, den Du verlinkt hast, erklärt es auch sehr gut. Und letzten Endes beruhigt es mich auch: Es ist nicht nur mein Empfinden, es ist einfach so gewollt, dass man Algorithmen nicht durchschaut. Diese Theorie der Enshittification hingegen ist gut zu durchschauen. Auch meine Konsequenz daraus ist es mittlerweile, mich auf den Blog zu konzentrieren und Social media nur noch sehr selektiv zu nutzen. Was natürlich auch schade ist. Auch ich erinnere mich gerne an die „guten alten Zeiten“ auf z.b. Twitter. Auch Instagram geht gerade m.E. diesen Weg. Die Reichweite ist extrem eingebrochen, das ist das Eine. Das andere ist, dass einem wirklich zu 60 % nur noch „Mist“ angezeigt wird und nicht die Beiträge der User, denen man ja aus gutem Grund folgt. Z.B. sehe ich Deine Einträge in meinem normalen Feed überhaupt nicht mehr. Ich muss Dich schon extra aufrufen, um zu sehen, ob Du was gepostet hast.
Wünsche Dir eine gute sichtbare Woche
Britta
Hi Britta! Viele empfinden gerade ein Unbehagen, was Social Media angeht. Aber ich glaube, dass die meisten das als ein persönliches Problem abtun: Sie denken, NUR SIE fühlen sich gerade genervt von Instagram und dass das ja nur eine Phase der individuellen Lustlosigkeit sei, die wieder vorbeigeht. Dass das aber ein strukturelles Problem ist, das viele betrifft, sehen viele Menschen gar nicht.
Ja, wir sollten uns auf unsere Blogs konzentrieren. Ich bin so froh, dass ich das immer schon gemacht habe. Auch damals in den Nullerjahren, als Facebook in unser Leben kam und die Blogosphäre wie ein Staubsauger leergefegt hat. Ich habe so viele Freunde, die damals beschlossen haben, auf FB weiterzubloggen (obwohl wir ja alle wissen, dass das kein echtes Bloggen ist). Sie haben ihre Blogs eingestampft. Die Folge: Von denen habe ich einfach nichts mehr gehört, ihre digitale Stimme ist verstummt.
Dass ich dir auf Instagram nicht mehr angezeigt werde, liegt vielleicht auch daran, dass ich im Januar einen Maulwurf-Monat eingelegt habe: Ich hatte einfach keine Lust, dort irgendwas zu posten. Ehrlich gesagt, spüre ich diese Tendenz schon lange: Ich will die (a)sozialen Netzwerke nicht mit meinen Inhalten aufwerten. Denn: Jedes Posting, das ich mache, führt dazu, dass ein paar Menschen noch länger auf einer Plattform verweilen, die ihnen nicht guttut.
„Blogs werden Social Media und alle digitalen Trends überleben.“ Der Meinung bin ich auch. Ich mache mir auf den Social Media Plattformen keinen Stress mehr. Darüber habe ich selbst bereits auf meinem Blog geschrieben.
Liebe Grüße
Sabine
Hach, herzlichen Dank für diesen ausführlichen Artikel, und vor allem gleich für den Tipp mit dem Feed Eradicator. Ich hab auch seit Jahren ’ne Hassliebe mit Social Media. Hab schon ein oder zwei Mal ein neues FB-Profil angelegt, weil ich den alten Ballast hinter mir lassen wollte. Hab diverse Male Insta und Twitter neu gestartet …
Irgendwas „muss“ ich doch machen, um neue Leute auf meine Arbeit aufmerksam zu machen, nur was sonst?
Meine Hauptenergie leg ich in mein Blog (seit 2008) und die Mailingliste, und nur wenn noch Lust ist, bereite ich Blogpostschnipsel für Instagram zu.
Danke für deine unermüdliche Bloggervernetzungsarbeit. Da bin ich gern dabei <3 Sandra aus Dresden